Ansprache an der Gedenkfeier vom 15. November 2004
Dr. Martin Michel, Lachen – Kantonsratspräsident Kanton Schwyz
Hochwürdige Herren
Geschätzte Räte und Richter der Stände Zug und Schwyz
Geschätzte Repräsentanten des Militärs und der Verwaltung
Liebe Gäste aus dem Kanton Glarus
Sehr verehrte Damen und Herren
I. Einleitung
Am Tage vor St. Othmar treffen sich jedes Jahr die Leute von Schwyz und Zug am Morgarten, um der Schlacht von 1315 zu gedenken. Sie stellen diese Schlachtfeier mit einem Gottesdienst unter das Patronat des Allmächtigen. Sie erinnern sich der verstorbenen Helden und ihrer Ideale. Und sie wagen einen Ausblick auf die bevorstehenden Händel unserer modernen Eidgenossenschaft.
Nicht selten gelingt mit diesem Anlass ein treffender Vergleich zwischen den denkwürdigen Ereignissen von damals und den anstehenden Herausforderungen von heute. Nicht selten sind die eindrücklichen Erfahrungen dieses Gedenkens Motivation und Anstoss zu neuen Ideen und Taten. Und daher lohnt es sich in jedem Fall, an dieser Morgarten Schlachtfeier festzuhalten und teilzunehmen. Es ist mir eine grosse Freude mit Ihnen allen zusammen hier am Morgarten diese Gedenkfeier zu begehen.
II. Morgarten
Die Meinungen über die Schlacht am Morgarten und die Erkenntnisse über dieses einschneidende Ereignis der frühen Geschichte der Eidgenossenschaft gehen bekanntlich weit auseinander.
Je nach der Schilderungen der Lehrer ist „Morgarten“:
- Ein eidgenössischer Freiheitskampf erster Güte oder ein gemeiner Hinterhalt gegen die Staatsmacht.
- Ein Sprengen der obrigkeitlichen Fesseln oder eine Vereitelung einer provozierten Strafaktion.
- Ein denkwürdiger Heldenkampf oder ein sinnloses Gemetzel.
Bei genauerer Betrachtung wird schnell klar, dass die Ursachen und die Motivation zu dieser Schlacht nicht ein besonderes Ruhmesblatt der alten Eidgenossen wiedergeben. Auch wird die politische und militärische Bedeutung der Schlacht gemeinhin überschätzt. Die Schlacht selber, das Zusammenstehen der Eidgenossen, der Vollzug des 1. Bundesbriefes und das Halten der geschworenen Bundestreue verdient hingegen grosse Beachtung und Respekt.
III. Lehren aus Morgarten
Deshalb ist Morgarten für die Eidgenossenschaft ein wichtiges Datum, ein bedeutendes Ereignis, ein merkwürdiges Zusammenstehen.
Die Eidgenossen am Morgarten überzeugten durch fünf entscheidende Merkmale. Fünf Merkmale, die meines Erachtens auch heute noch Gültigkeit haben.
- Die Eidgenossen haben nicht abgewartet. Sie haben sich nicht zurückgelehnt. Sie sind bereit gewesen, etwas zu leisten, etwas zu bewegen und ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.
- Die Eidgenossen sind nicht im alten Denken verharrt und haben nicht an den bestehenden Strukturen festgehalten. Sie sind aufgebrochen, etwas Neues zu schaffen und haben das Ungewisse in Kauf genommen.
- Die Eidgenossen haben nicht auf eine falsche, persönliche Sicherheit gesetzt. Sie haben nicht danach getrachtet, das Bestehende zu wahren. Sie haben gewagt, ein Risiko einzugehen und selbst ihr Hab und Gut sowie ihr Leben zu opfern.
- Die Eidgenossen haben nicht die Macht der anderen gefürchtet.Sie haben sich auf ihre eigene Stärke besonnen und haben die Vorteile ihres Umfeldes und ihres Könnens genutzt.
- Die Eidgenossen haben nicht an ihren eigenen, persönlichen Vorteil gedacht. Sie haben sich zusammengeschlossen und gemeinsam für alle gekämpft. Gemeinsam haben sie ein Ziel verfolgt und gemeinsam haben sie das Ziel auch erreicht.
Diese fünf Merkmale machen für uns den bemerkenswerten Geist von Morgarten aus:
- Leistung erbringen
- Neues anstreben
- Risiken eingehen
- auf eigene Stärken vertrauen und vor allem
- zusammen schaffen.
Diese fünf Grundsätze sind das eigentlich Heldenhafte an der Schlacht von Morgarten. Diese fünf Denkweisen sollten uns auch heute anspornen, die Gefahren unserer Zeit und die heutigen Herausforderungen anzugehen und zu meistern. Aber allzu oft müssen wir heute in Politik und Armee, in Kirche und Kultur, in Wissenschaft und Wirtschaft erkennen, dass wir jungen Eidgenossen herzlich wenig bereit sind, Eigenleistung und Selbstverantwortung zu zeigen. Unser Verharren an alten Positionen und Ideen versperrt uns oftmals den Weg, zu neuen Taten aufzubrechen. Wir sind häufig zu bequem, etwas Bestehendes, selbst Fragwürdiges, aufzugeben. Wir zieren uns, ein Risiko für etwas noch Unbekanntes einzugehen. Viel zu viel lassen wir uns von den Andern und vom Unbekannten beeindrucken und zurückdrängen, statt uns auf unsere eigene Stärke zu besinnen. Die vorgespielte Macht der anderen beeindruckt uns oft mehr, als unsere eigenen, soliden Fähigkeiten und unsere eigene, lautere Absicht. Und vor allem hindern uns unser Neid und unsere Missgunst am Ziehen am gleichen Seil. Unser Streben nach eigenem Vorteil lähmt uns immer mehr, zusammen etwas für die Gemeinschaft zu schaffen.
IV. Aufruf und Schluss
Morgarten und die heutige Schlachtfeier soll uns wieder einmal ganz bewusst vor Augen führen, wie wir besser handeln sollen. Unsere Vorfahren haben in Morgarten mit Leistung, Risiko, Erneuerungswillen, Selbstbewusstsein und gemeinsamem Handeln einen legendären Sieg errungen.
Lernen wir von ihnen. Eifern wir ihnen und ihren Idealen wieder nach. Und auch wir werden wieder lernen:
- Schwierigkeiten zu überwinden
- Niederlagen zu verkraften und
- Siege für uns und unsere Gemeinschaft zu erringen.
Dieses Morgarten bietet uns heute die Gelegenheit. Nützen wir das heutige Zusammensein von Bürgern und Politiker, von Militär und Geistlichkeit aus den verschiedenen eidgenössischen Ständen.
Fangen wir heute, im ungezwungenen Gespräch an, unsere gemeinsame Zukunft zusammen zu gestalten.
Ich wünsche Ihnen eine ereignisreiche Gedenkfeier und einen angenehmen Aufenthalt in Morgarten und Sattel.